Der Beginn eines schrecklichen Desasters

Vor 80 Jahren wurde Adolf Hitler als Reichskanzler vereidigt

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SA, SS und Stahlhelm marschieren zur Feier von Hitlers Ernennung zum Reichskanzler durch das Brandenburger Tor - die Szene wurde im Sommer 1933 zu Propagandazwecken nachgestellt.

Der Beginn eines schrecklichen Desasters
Vor 80 Jahren wurde Adolf Hitler als Reichskanzler vereidigt
Am 30. Januar 1933 ernannte Reichspräsident Hindenburg einen Mann zum Kanzler, den er kurz zuvor "nicht einmal zum Postminister" hatte machen wollen: Adolf Hitler. Die deutsche Geschichte nahm ihren fatalen Lauf.
30.01.2013
epd
Thomas Greif

Der Angelpunkt der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts lässt sich ziemlich präzise bestimmen. Es war Montag, der 30. Januar 1933, etwa 11.20 Uhr, als Reichspräsident Paul von Hindenburg im Reichspräsidentenpalais in der Wilhelmstraße 73 in Berlin den neuen Kanzler des Deutschen Reiches vereidigte. Sein Name: Adolf Hitler, ebenjener "böhmische Gefreite", den Hindenburg noch kurz zuvor "nicht einmal zum Postminister" hatte machen wollen.

Das Ereignis wurde zum Ausgangspunkt einer fatalen Entwicklung, an deren Ende der vollkommene politische, moralische und militärische Bankrott Deutschlands stand. Jahrzehntelang sprach man gerne von der "Machtergreifung", was dem Geschehen eine spontan-revolutionäre Aura verlieh. Davon aber kann gar keine Rede sein: Hitlers Weg in die Reichskanzlei war zwar von Verrat und Intrigen gesäumt, verlief aber auf dem Boden der Weimarer Verfassung. Mit dem Versuch, sich an die Spitze des Staates zu putschen, war Hitler 1923 grandios gescheitert. Nun wurde ihm die Macht vom höchsten Repräsentanten der Republik angetragen.

Hindenburg als Komplize

Welche Rolle Hindenburg in den letzten Januartagen des Jahres 1933 spielte, ist umstritten. Der greise Feldmarschall im Ruhestand überwand sein tiefsitzendes Misstrauen gegenüber Hitler unter dem Einfluss eines Küchenkabinettes, zu dem neben dem vormaligen Reichskanzler Franz von Papen und Staatssekretär Otto Meissner auch sein Sohn Oskar gehörte - die gern zitierte "Hindenburg-Kamarilla". In einer neueren Hindenburg-Biografie hat der Historiker Wolfram Pyta die Eigenverantwortlichkeit des Reichspräsidenten betont: Schließlich habe sich dieser mit Hitlers Plänen einer Aushebelung der Verfassung und der Vision von einer deutschen "Volksgemeinschaft" durchaus anfreunden können.

Die Weichen zu Hitlers Kanzlerschaft wurden am 4. Januar in Köln gestellt. Im Haus des Bankiers Kurt von Schroeder sondierten Papen und Hitler die Möglichkeiten einer Regierungsbildung von konservativen und nationalsozialistischen Kräften - die heimliche Geburtsstunde des "Dritten Reiches".

Weil der amtierende Reichskanzler Kurt von Schleicher von den Schachzügen seiner Gegner nichts erfahren durfte, wählte man für die Annäherung an den Reichspräsidenten geradezu grotesk anmutende Maßnahmen der Geheimhaltung: Bei einem Treffen in einer Berliner Privatwohnung betraten Hitler und sein Gefolge das Haus bei Dunkelheit von der Gartenseite, während Hindenburgs Sohn und Staatssekretär Meißner sich kurz nach der Pause heimlich aus einer Opernvorstellung schlichen und nachkamen. In einem zweistündigen Vier-Augen-Gespräch gelang es Hitler, Oskar von Hindenburg für sich zu gewinnen.

"Wir rahmen Hitler ein"

Dem Kabinett Hitler, das sich nun abzeichnete, sollten neben Hitler nur zwei weitere Nationalsozialisten angehören, denen acht konservative Minister gegenüberstanden: "Wir rahmen also Hitler ein", versprach der künftige Vizekanzler Papen. Mehr noch, gegenüber einem Vertrauten äußerte er: "In zwei Monaten haben wir Hitler in die Ecke gedrängt, dass er quietscht." Selten hat ein Politiker in Deutschland eine derart bizarre Fehleinschätzung formuliert.

Im letzten Moment war das neue Bündnis noch einmal gefährdet, als nämlich der mächtige DNVP-Politiker Alfred Hugenberg, der als Wirtschaftsminister vorgesehen war, im Vorzimmer Hindenburgs von Hitlers Absicht erfuhr, sofortige Neuwahlen herbeizuführen und dies vehement ablehnte. Als jedoch Staatssekretär Meißner eintrat und zur Einigung mahnte, da nebenan der Reichspräsident bereits seit 15 Minuten warte, knickte Hugenberg ein: Die Autorität von Hindenburg und dessen Terminkalender waren für ihn unantastbar.

Die Nationalsozialisten feierten die Amtsübergabe mit einem von Joseph Goebbels in teuflischer Perfektion organisierten Fackelzug, bei dem über sechs Stunden lang Tausende Uniformierte durch das Brandenburger Tor marschierten. Gegenüber Vertrauten schwadronierte der neue Reichskanzler zur gleichen Zeit vom bevorstehenden Endkampf um die Herrschaft über die Erde. Der 30. Januar 1933 markierte für Hitler den Beginn der "größten germanischen Rassenrevolution der Weltgeschichte". Er wurde zum Startschuss für das entsetzlichste Desaster der deutschen und europäischen Geschichte.

Der 30. Januar 1933

"Und nun, meine Herren, vorwärts mit Gott." Mit diesen Worten des greisen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg war die Ernennung Adolfs Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 um die Mittagszeit zum Reichskanzler besiegelt. Das Datum markiert das Ende der bei vielen ungeliebten, aber demokratischen Weimarer Republik und den Beginn der NS-Diktatur. Innerhalb von nur anderthalb Jahren wurde aus einer Mischung "legaler" staatlicher Maßnahmen und wilden Terrors der "Führerstaat" fest etabliert. Der ursprüngliche Plan der deutschnationalen Parteien, Hitler zu zähmen, scheiterte auf ganzer Linie. Bereits am Tag der Machtübernahme wurden allein in Berlin über 100 Menschen erschossen. Reichsweit belaufen sich die Schätzungen auf eine sechsfache Zahl. Unter dem Eindruck der unter den Fenstern seines Hauses durch das Brandenburger Tor marschierenden SA-Kolonnen sagte der Maler Max Liebermann: "Ich kann gar nicht so viel fressen wie ich kotzen könnte." Der Nazi-Chefpropagandist Joseph Goebbels notiert hingegen in sein Tagebuch: "Es ist fast ein Traum."